9. Fast unglaublich, und doch ist der Fall erst vor einigen
Wochen hier vorgekommen, daß sich mehrere Mädchen u.
junge Frauen aus einem Spiegel wahrsagen ließen! Sei es
nun, daß die Einen gerne Männer gehabt, die andern
ebenso gerne sich andere gewünscht: ich will es
dahingestellt sein lassen; aber zeugt es nicht von einer
grenzenlosen Neugierde u. unverzeihligen Aberglauben,
sich das so unschätzbare Dunkel der Zukunft enthüllen
lassen zu wollen, was keinem Menschen zu seinem Glücke
vergönnt ist, zu lichten. Ganz abgesehen davon, daß diese
Wahrsagungen ganz unwahr sind, so weiß ich nicht, wen
ich von den Geteuschten für den Unglücklicheren halten
soll: denjenigen, dem zwar Glück prophezeit – aber bitter
geteuscht durch das Gegentheil; oder jenen, den nach den
Vorspiegelungen Unglück verfolgen wird. – Bemitleiden
muß man solche Frauen, verlachen kann ich sie nicht in
ihrem Wahne.
10. Nach Brunnthal gegangen; hier unterhielt ich mich
mit einer 84 jährigen Frau, deren Mann Oberauditor war:
nicht genug konnte ich mich über sie verwundern, ihr
Gang ist noch ziemlich rasch u. was noch mehr werth ist,
ihr Geist fast gar nicht geschwächt; 42 Jahre lebte sie in
der Ehe u. seit 21 Jahren ist sie Witwe: in Brunnthal
braucht sie die Wasserkur während der Sommermonate.
11. Man erzählt sich jetzt wieder einen Geniestreich von L.
M. Sie soll zu sich zum Diné einen Theaterschreiber
eingeladen haben, der schon viele Schmähgedichte auf sie
verfaßt habe. Die ausgezeichnete Tafel ließ sich dieser
munden u. bemerkte bei der lebhaften Unterhaltung nicht,
daß sie das letzte Gericht nicht kostete. Als er sich den
Mund abgewischt, erhob sie sich u. ihn durchbohrend
anblickend sprach sie zu ihm: „Warum schmähen sie mich
so in ihren Gedichten, verdiene ich es? Doch damit ich sie
zum Stillschweigen bringe, so wissen sie: in der letzten
Speise war das stärkste Gift.“ „Gift“ stammelte er u. wurde
vor Todesangst leichenblas, greift nach seinem Hut u.
stürmt in Zuckungen nach Hause: „Ärzte, Ärzte“ schreit er.
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